Geschichte

Die Chronik der Katholischen Kirchenmusik 1876 Bingen am Rhein

Von unserem Ehrenmitglied Klaus Frey

Vorwort

Die Geschichte der Katholischen Kirchenmusik Bingen zu schreiben ist ein ehrenvoller Auftrag für mich, der ich nun schon seit 1966 dem Verein angehöre, ihn mehr als 20 Jahre als erster Vorsitzender leiten durfte und somit viele Freuden und Leiden miterlebte.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem Verein des Alters der Kath. Kirchenmusik Bingen am Rhein keine Zeitzeugen aus der Gründerzeit mehr zur Verfügung stehen. Der Verfasser hat daher Unterlagen aus dem Stadtarchiv, den Kirchenarchiven Bingens und Bingen-Büdesheims, den Veröffentlichungen in alten Kirchenkalendern und Zeitungen aus Bingen und Umgebung sowie Beiträge von Chronisten früherer Zeit zu den früheren Vereinsjubiläen zusammengetragen und in der nachfolgenden Darstellung mit verwendet.

Die Anfänge

„In Bingen ist klassischer Boden der Kirchenmusik“, stellt der Binger Bürger und spätere Staatssekretär Dr. Peter Paul Nahm in seinem musikwissenschaftlichen Beitrag über die Binger Kirchenmusik im 12. Jahrhundert unter ausführlicher Beschreibung des Musikschaffens unserer berühmten Äbtissin, der heiligen Hildegard, in einer Festschrift zum Jubiläum der Kirchenmusik 1926 fest.

Als das eigentliche Gründungsjahr wird das Jahr 1876 (mit der nachfolgend geschilderten Begründung) überliefert, obwohl Dokumente belegen, dass schon um die Wende des 17./18. Jahrhunderts die Instrumentalmusik in Bingen, wie auch in anderen Kurmainzer Orten ihren Einzug hielt. Geistlicher Rat Dr. Dr. Anton Gottron, Mainz, hat in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Binger Kirchenmusik (Kirchenkalender 1950) nachgewiesen, dass die Kirchenmusik Bingen ihre Vorläufer im 18 Jahrhundert hatte. Rechnungsbelege des 18. Jhd. verzeichneten nämlich öfter Ausgaben der Kirchengemeinde für Waldhörner, Trompeten und andere Instrumente.  Die Behauptung älteste Kirchenmusik der Diözese Mainz zu sein ist indessen sicherlich nicht unbegründet, auch, wenn das aber von anderen Kirchenmusikvereinen der Diözese behauptet wird.

Von dem Mainzer Komponisten Franz Xaver Sterkel wurde eine Sinfonie für zwei Oboen, Trompeten, zwei Hörner, Streichorchester und Orgel komponiert, die als Graduale bezeichnet war. Mit diesem Eindringen der Instrumentalmusik in die Feier der Heiligen Messe sieht Dr.  Dr. Gottron eine Verweltlichung der Kirchenmusik, wie es -ebenso am Dom- damals in allen größeren Pfarreien des Erzstifts Platz griff. Wenn auch infolge der französischen Revolution zu Beginn des 19. Jhds. sich das Bild änderte, so scheint das für Bingen nicht ganz der Fall zu sein, da sich dort, wenn auch in bescheidenem Umfang, die Instrumentalmusik behauptete. Denn hier war nach Mitteilung des Organisten Geßner aus dem Jahre 1824 wieder eine kleine Kirchenmusik im Entstehen begriffen, für die er zwei Trompeten zum Preise von 19 Gulden benötigte. Danach blieb es wieder „ruhig“ in Sachen instrumentaler Kirchenmusik.

Die Gründung

Erst für das Jahr 1864 hören wir wieder von einem Kirchengesangsverein, der sich auch außerhalb der Kirche betätigte. Am zweiten Osterfeiertag 1864 fand nämlich ein Ball statt, an dem sich neben 27 Sängern auch 21 Instrumentalisten beteiligten. In den Statuten war als Vereinszweck angegeben: „Verherrlichung des Gottesdienstes, auch Gestaltung von weltlichen Feierlichkeiten, Abendunterhaltung und Waldpartien.“ Also muss zu diesem Zeitpunkt eine Bläsermusik schon existiert haben.

Dies steht im Einklang mit dem, was Josef Matthäi (Mitglied seit 1898) zum Jubiläum 1926 berichtet, wo er die erste Anregung zur Gründung einer Instrumentalen Katholischen Kirchenmusik auf eine Begebenheit des Jahres 1861 zurückführt. Damals war es nämlich die Musikkapelle eines wandernden Zirkusunternehmens, das auf dem Fruchtmarkt in Bingen gastierte. Ein Kind dieses fahrenden Volkes empfing in Bingen die erste heilige Kommunion und groß war die Freude und Begeisterung der Binger, als in diesem Jahre zum ersten Mal von der Terrasse des Kirchturms neben dem Geläute wunderbare Choralmusik den Weißen Sonntag einleitete. In den folgenden Jahren wurde diese Aufgabe am Weißen Sonntag von einer kleinen privaten Musikkapelle, mehr schlecht als recht wahrgenommen, bis dann 1876 die Initiative zur Gründung einer Kirchenmusikkapelle Realität werden konnte.

Es sei gestattet ein wenig über den damaligen Kirchenchor, aus dem der Instrumentalverein letztendlich hervorgegangen ist, kurz zu berichten:

Vor dem Jahr 1871 bestand der Kirchenchor nur aus Männern, welche hier und da beim Gottesdienst würdige Kompositionen zur Aufführung brachten. Im Laufe des Jahres 1871 wurde ein musikalisch hochbegabter, virtuoser Klavier- und Orgelspieler sowie genialer Komponist, Lehrer Georg Weiß als Gesangslehrer für die Stadtschulen und für einige Klassen der Realschule von Heppenheim nach Bingen versetzt. Geradezu zum Segen des Kirchenchores und der Kirchenmusik überhaupt wurden ihm der Organistendienst sowie die Leitung des Kirchengesangs übertragen. Herr Weiß wandelte sofort den Männerchor in einen gemischten Chor um und brachte ihn in wenigen Jahren auf einen respektablen Leistungsstand, um mit den besten Kirchenchören Deutschlands in den Wettbewerb zu treten. Gleichzeitig wurde Herr Weiß gebeten, sich um eine musikalische Führung der Gläubigen bei kirchlichen Anlässen außerhalb des Kirchenraumes, wie am Fronleichnamsfest oder Rochusfest zu kümmern.

Der Mitbegründer, Lehrer und spätere Schulrektor Adam Götz, berichtet in seinem Beitrag zum 50jährigen Bestehen:

„Bis zum Jahr 1876 klangen zwischen den Chorgesängen die dünnen Akkorde einer Musikkapelle aus sechs oder 7 Musikanten bestehend, die zwar flott zum Tanz aufspielen konnten, denen aber die getragenen Choralmelodien wohl ziemlich fremd lagen. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass im Sängerchor der Gedanke auftauchte einen Instrumentalmusikchor ins Leben zu rufen. Mit Begeisterung wurde die Idee umgesetzt und bei dem Instrumentenmacher Alexander in Mainz Mitte Oktober 1876 (auf Pump) 14 Blasinstrumente (1 F-Bass, 1 Tenorhorn, 1 Ventilposaune, 1 Althorn, 2 Trompeten, 2 Waldhörner, 2 Flügelhörner, 2 Piston, 2 Clarinetten) zum Preis von 1400 Mark bezogen. Gemäß Absprache mit Pfarrer Sulzbach gedachten wir die Schuld mit den Summen ab zutragen, die wie seither die wenigen Musikanten für ihre Leistungen bei den Prozessionen aus der Kirchenkasse erhielten, sowie aus freiwilligen Gaben der Erstkommunikanten an jedem folgenden Weißen Sonntag.“

Nach fleißigem Üben der Musikgrundlagen konnte die Kapelle noch im gleichen Jahr auf 21 Mann ausgeweitet werden.

Die Katholische Kirchenmusik Bingen im Jahr 1876

KKM Bingen 1876
OBERE REIHE (STEHEND): Math. Tiefel,Gg. Mathes, Lehrer Götz, Josef Werner, Karl Schröder, Jos. Rudolf, Hch. Natzinger, Kasp. Choquet, Peter Sperling, Richard Huy, Benedikt Macher, Vitt (Bleichvitt). MITTLERE REIHE (SITZEND): J.B.Grünewald, Simon, Organist Weiß, Martin Kinger, Josef Macher UNTERE REIHE: Adam Roos, Philipp Vitt, Heinrich Vitt, Konrad Scholl

Die fleißigen Leistungen der jungen Bläsergemeinschaft fanden schnell hohe Anerkennung in der Binger Pfarrgemeinde und die Kapelle wurde zu musikalischer Umrahmung von Grundsteinlegung und Einweihung der katholischen Kirchen in Flonheim, Bingerbrück, Dietersheim sowie zu kirchlichen Festen in Bacharach, Oberwesel, Stromberg, Gau-Algesheim, Gau-Bickelheim, Ockenheim u.a. Gemeinden eingeladen.

Lehrer Götz wurde 1881 nach Mainz versetzt und 1885 verstarb -erst 39-jährig- Lehrer Weiß. Mit ihnen gingen der Kirchenmusik profunde Musiker und Förderer verloren. Nachfolger wurde Ferdinand Pertzborn, Organist, Chorleiter und Komponist seit 1886 und gleichzeitiger Dirigent der Kirchenmusik bis zu seinem frühen Tod (45-jährig) am 22.6.1909.

Die wirtschaftliche Not der damaligen Zeit erlaubte nicht, sich gedruckte Noten zu kaufen. Daher schrieb man ab 1895 bis weit in die Mitte der 1930iger Jahre die Noten per Hand, von denen heute noch Choralbücher, Karnevals- und Studentenlieder sowie Marschbücher im Original erhalten sind. An Noten, die während des 1. Weltkrieges im Felde geschrieben wurden sind das Datum und Namen des jeweiligen Schlachtfeldes signiert.

Die Darstellung einiger Exponate wurde hier aufgenommen:Noten

Schwere Zeiten überstand die Kirchenmusik unter der engagierten, 20-jährigen Leitung von Peter Jäger bis zum Jahr 1929. Zu Beginn des 1. Weltkrieges schrumpfte die Zahl der Musiker von 30 auf nur noch 6 Personen. Peter Jäger bildete viele Jungen als Nachwuchsmusiker aus und garantierte somit den Fortbestand der Kirchenmusik.

Im ersten Weltkrieg haben die Mitglieder August Einolf, Andreas Köhler, Josef Macher und Toni Choquet ihr Leben verloren.

In den Jahren von 1902 bis Mitte der 1930iger war die Kirchenmusik mit Unterstützung durch Musiker aus Rüdesheim zugleich Stadtkapelle und Feuerwehrkapelle. Die sogenannten „goldenen“ Zeiten waren für den Verein nicht besser, weswegen Hermann Heinrichdie musikalische Leitung 1929 übertragen bekam, die er 30 Jahre lang verantwortungsbewusst ausübte. Nach dem Tod von Arnold, (59 Jahre Mitglied, davon 20-Jahre lang Vorsitzender, +23.4.1945) wurde ihm, Heinrich,  zusätzlich das Amt des 1. Vorsitzenden übertragen. Er war insbesondere in den 30iger Jahren beherzter Garant für das Fortbestehen des Vereins, wo das NS-Regime jegliches religiöse Leben in Vereinen und Verbänden zu unterbinden suchte. Angriffe auf seine persönliche Freiheit (ihm wurde mehrmals Inhaftierung angedroht) hielten ihn nicht davon ab, für seine katholische Religion und Kirchenmusik einzutreten und zu kämpfen. Auch nach Beendigung des Krieges besorgte Hermann Heinrich aus privaten Mitteln wieder Instrumente und Noten, so dass ein musikalisches Leben neuen Aufschwung nehmen konnte.

Während des 2. Weltkrieges schmolz die Zahl der Mitglieder stark zusammen. Die Mitglieder statteten den Verwundeten im Hildegardiskloster auf dem Rochusberg einen Besuch ab und übergaben nach musikalisch gestalteter Marienfeier jedem Verwundeten eine Flasche Wein aus einer Vorausspende von Hermann Heinrich (Weinhändler). Gefallen sind Richard Scholl, Valentin Tratzky, Rochus Sperling. Als vermisst gelten Peter Braden, Georg Kneisch.

Nach dem Krieg zählten nur noch 6 Mann zur Kirchenmusik; durch Eintritte und Jugendausbildung konnte der Verein zum Jubiläum wieder auf 23 Personen wachsen.

Eine besondere Ehre wurde der KKM Bingen mit der Durchführung des 3. Diözesan-Musikfestes an Pfingsten 1951 zuteil, wo Tausende Musiker aus Nah und Fern teilnahmen und zugleich das 75-jährige Vereinsjubiläum begangen wurde.

1959 musste Hermann Heinrich krankheitshalber von beiden Ämtern zurücktreten; er verstarb am 30.12.1962 und hinterließ eine schmerzliche Lücke. Der Verein hatte seit 1959 keine feste musikalische Führung. Lediglich die Dirigenten der Brudervereine aus Gau-Algesheim und Bingen-Büdesheim (Nikolaus Bischel und Hermann Hammes) halfen dankenswerterweise bei Proben aus, um wenigstens das Mitwirken bei einer Choralmusik zu gewährleisten.

Als Wilhelm Fey, ein zugezogener ehemaliger Militärmusiker, im Sommer 1963 die musikalische Leitung bekam, traf er nur auf ein Häuflein älterer Bläser. In aufopferungsvoller, unermüdlicher täglicher Kleinarbeit vermittelte er den jugendlichen Neulingen seine musikalischen Fähigkeiten und Kenntnisse. Da das Interesse der Jugendlichen groß war, konnte zum 90-jährigen Jubiläum im Jahr 1966 wieder eine stattliche Kapelle von 25 Musikern auftreten.

Die Katholische Kirchenmusik im Jahr 1966

KKM Bingen 1966
OBERE REIHE v.l.n.r.: Witgar Wingenter, Ernst Tullius, Jean Fleck,Kurt Braun, Otto Trebbien, Walter Schröder, Klaus Frey MITTLERE REIHE: Friedrich Kühn, Bernhard Reischmann, Hans-Jürgen Sperling, Wolfgang Rappolt, Reinhold Trebbien, Hans Hammer jr., Karlheinz Becker, Josef Mahn, Markus Lesum SITZEND: Hans-Josef Lesum, Hans Christ, Ernst Heußner, Friedel Hammer, Geistl.Rat, Pfr. Fasshauer, Dirigent Wilhelm Fey, Josef Macher, Karl-Heinz Schöber, Hans Hammer sen. NICHT AUF DEM BILD: Günther Beer, Karl Heußner, Hermann Reischmann, Franz Wollinger und Anton Zwoll

Die musikalische Führung wurde fruchtbar unterstützt durch die engagierte Tätigkeit des 1. Vorsitzenden Friedel Hammer (1961 – 1972) und seine Mitarbeiter im Vorstand. Leider musste Wilhelm Fey aus gesundheitlichen Gründen im Jahr 1970 den Dirigentenstab aus der Hand legen. Die Mitgliedervollversammlung verlieh 1972 Wilhelm Fey den Titel des Ehrendirigenten. Gleichzeitig wurde Friedel Hammer in Anerkennung seiner Verdienste zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Herr Wilhelm Fey wurde am 25.11.1975 in Meisenheim/Nahe zu Grabe getragen.

Ab 1970 dirigierte Heinrich Adam  aus Rüdesheim die Kapelle leider für nur kurze zwei Jahre, denn ein durch Unfall verursachtes Augenleiden zwang ihn zum Abbruch seiner engagierten Tätigkeit.

Nach dem Rücktritt von Friedel Hammer aus der Vereinsführung übertrug die Generalversammlung im März 1972 die Vereinsführung nunmehr dem seitherigen, Kassenverwalter Klaus Frey, denn man hatte ja schon im Auge, dass 1976 ein besonderes, nämlich ein 100-jähriges Bestehen zu feiern war. Dazu sollte ein neuer Vorstand ausreichend Zeit der Vorbereitung haben. Dem neuen, jungen Vorsitzenden standen bewährte seitherige Vorstandsmitglieder mit Rat und Tat zur Seite. Frey konnte den Militär-Musikmeister a.D.Wilhelm Rögner als neuen Dirigenten ab 11.3.1973 gewinnen, so dass ein neues „Gespann“ Verantwortung übernommen hatte. In dieser Zeit schaltete sich der Verein wieder in die heimatstädtische Traditionspflege ein und wiederbelebte 1970 die „Binger Gruber Kerb“ (Altstadtkirmes) die seit dem in steigendem Maße von der einheimischen und auswärtigen Bevölkerung als ein gern besuchtes Volksfest angenommen wurde. Die Begeisterung bei den Aktiven wie auch beim Publikum war beiderseits so groß, dass die hier agierenden Musiker (12 a.d.Zahl) sich fortan „Gruber Dorfmusikanten“ nannten, weil sie von den Kerwegästen so genannt wurden. Der Vorstand griff die Nominierung sofort auf und schrieb sie in der Vereinssatzung als Namensgebung für weltliche Auftritte des Gesamtvereins fest.  Leider ist mit der Niederlegung des Kath. Vereinshauses im Jahre 1982 dem Verein nicht nur seine Wohnstatt sondern auch ein finanzielles „Rückgrat“ in Form der Einnahmen aus dem Wirtschaftsbetrieb weggebrochen. Dennoch hat sich der Verein erheblich verbessert als wir noch im gleichen Jahr unser neues Domizil im Keller des Kindergartens Annaberg beziehen durften.

Das 100-jährige Jubiläum

Zur Feier des 100-jährigen Bestehens am 24. Oktober 1976 hat man die Vereinssatzung aus dem Jahr 1911 modernisiert und endlich auch zugelassen, dass Mädchen oder Frauen (!) aktives Mitglied des Musikvereins werden konnten. Auch wurde erstmals zugelassen, dass dem Verein fördernde (passive) Mitglieder beitreten konnten. Noch am Jubiläumgstag traten spontan 21 fördernde Mitglieder mit einem Jahresbetrag von DM 12,–dem Verein bei. Der damals Erste Bürgerbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Johann Baptist Rösler (* 1922 – + 2009, mein ehemaliger Religionslehrer) hielt die Festansprache mit einem flammenden Bekenntnis zu einer Theologie, die über intellektuelle Glaubensüberzeugung hinaus auch das Gefühl anspreche. „So gesehen seien auch Prozessionen nicht nur Fortsetzung einer Tradition sondern Bekenntnis einer Bindung an Wesentliches. Was die Kirchenmusik ein Jahrhundert nun getan habe, sei ein Wirken aus der Verantwortung für die ganze Gemeinde, was unbedingt fortgesetzt werden müsse.“

Darüber hinaus plädierte er wortgewaltig für den Erhalt des Kath. Vereinshauses und Umgestaltung zum Pfarrzentrum anstatt -auch aus ökonomischen Gründen- den Neubau eines Pfarrzentrums auf dem Annaberg nachhaltig zu diskutieren. (Auch sein Appell half nichts: Das Kath. Vereinshaus wurde 1982 niedergelegt und die „Alte Mädchenschule“ am Pfarrhof zum Gemeindezentrum ausgebaut).

Glückwünsche zum Jubiläum erreichten den Verein sogar aus Paraguay von Missionspater Hans Schöber, einem echten „Binger Bub“ und Bruder unseres langjährigen Notenwarts und Tubisten Karlheinz Schöber.

Die aktive Kapelle im Jubiläumsjahr 1976

KKM Bingen 1976
OBERSTE (4.) REIHE v.l.n.r.: Friedel Hammer, Peter Trebbien, K-J. Kandel, Joachim Schmitt, Alfred Muscheid, Klaus Frey 3. REIHE: Friedrich Kühn, Reinhold Trebbien, H-Jürgen Sperling, Markus Lesum, Paul Krass, Ernst Tullius 2. REIHE: Anton Zwoll, Hans Christ, Jean Fleck, Pfarrer Kaspar Frosch, Hans Hammer 1. REIHE: Karlheinz Schöber, Wilhelm Rögner (Dir) Josef Macher, Gregor Blank, Christian Hemmerle, Josef Meser

Mitgliederentwicklung

In der Folgezeit entwickelte sich der Mitgliederstand fördernder Mitglieder erfreulich auf 50 Personen. Ein Aktivenbeitrag wurde immer noch nicht erhoben. Weniger erfolgreich waren die vielen Werbeaktionen für aktive Musikerinnen und Musiker, obwohl Ausbildung und Instrumentenmaterial kostenlos angeboten wurden. Hinzu kam, dass durch Todesfälle, familiäre und berufliche Veränderungen Mitgliederverluste zu verbuchen waren.

Die Spielstärke der aktiven Kapelle schwankte stets zwischen 16 und 21 Musikern. Dennoch gelang es viele unterhaltsame Veranstaltungen in der Karnevalszeit und im profanen Bereich musikalisch zu bedienen. Höhepunkte waren in dieser Zeit die Mitwirkung in einer Fernsehsendung über die Rochuskapelle im Jahr 1988 sowie die Begründung einer Vereinsfreundschaft zwischen der KKM Bingen und der Hitchin-Town-Band in England 1974, im Rahmen der bestehenden Städtepartnerschaft zwischen beiden politischen Heimatgemeinden. Daraus sind viele persönliche Freundschaften erwachsen, die zum Teil 1999 ein silbernes Freundschaftsjubiläum begehen konnten und teilweise noch weiterhin fortbestehen. Die Vereinspartnerschaft wurde von wenigen Vereinsmitgliedern mühsam bis Mitte der 80iger Jahre gepflegt und ruht offiziell leider seit dieser Zeit. Es wäre wünschenswert, diese Vereinsfreundschaft wieder aufleben zu lassen und fortzusetzen.

„Gruber Kerb“ wieder aufgelebt

Die in Bingen eigentlich traditionsreiche Kerb fristete Jahrzehnte lang ein mehr oder weniger  unbeachtetes Dasein. Seit dem Jahr 1970 wurde die Kath. Kirchenmusik initiativ und trat als  Veranstalter der „Gruber Kerb“, der sogen. St.Ulrich´s Kirchweih die alljährlich, bis zur Niederlegung des Kath. Vereinshauses im Jahr 1982 in dessen Innenhof veranstaltet wurde, auf. Bei zünftiger und moderner Blasmusik wurde zum Tanz aufgespielt und alte Binger Tradition gelebt. Die Nachbarschaft zeigte nicht nur großes Verständnis für die Lärmbelästigungen; sie ließen ihre Körbe von den Balkonen und hochgelegenen Terrassen herunter, kauften sich Getränke und Verpflegung und feierten so bis weit in die Nacht mit den rund 400 Gästen im Garten mit. Es ergab sich die lang vermisste Besonderheit, dass Binger Handwerksmeister am „Kerwemontag“ der Arbeit fern blieben und bei guter Blasmusik und deftiger Verpflegung den Handwerkerfrühschoppen besuchten, der sich oftmals bis in die Abendstunden ausdehnte. Erst beim Eintreffen der Gäste für den „Kerwe – Auskehr“ begaben sich die inzwischen „müden“ Teilnehmer des Frühschoppens nach Hause oder zeigten, nun zusammen mit Ihren Gattinnen, weiterhin trinkfeste Standsicherheit. Der Auskehr endete selten vor, aber meistens lange nach der Polizeistunde. Schee war´s awwer immer! Alle freuten sich schon auf die Veranstaltungen im nächsten Jahr. Die Einnahmen aus diesen Veranstaltungen bildeten das finanzielle Rückgrat des Vereins, die mit der Niederlegung des Kath. Vereinshauses und dem Verkauf des Kirchengrundstücks 1982 urplötzlich nicht mehr zur Verfügung standen.  Einfach nur schade!

Des Erfolgs im weltlichen Bereich wegen lag die ergänzende Namensgebung natürlich in der Erwartungshaltung, dass neue aktive Vereinsmitglieder von außerhalb der religiösen Organisation rekrutiert werden könnten.. Der Name blieb – die Werbeidee war leider nur mäßig erfolgreich.

In der Nachfolgezeit konnte nur in begrenztem Maße eine stabile Situation erreicht werden. Dies hing damit zusammen, dass sich der Verein teure Dirigenten nicht leisten konnte und bezahlbare Dirigenten nur auf Freundschaftsbasis engagiert werden konnten. Daran vermochte auch das mehrmalige bezahlte Auftreten als Sitzungskapelle (KG „Schwarze Elf“) in den Karnevalssessionen 1994/95 nicht viel zu ändern.

Mitte der 90iger und um die Jahrtausendwende erlebte der Verein jedoch unvermittelten Aufschwung, indem die vorhandene Jugend durch persönliche Werbung leistungsfähige Musikkollegen rekrutierte und die aktive Kapelle nunmehr auf rund 28 Personen wachsen konnte. Die Dirigenten Helmut Walter, Ralf Hähnlein und Jörg Thommes trugen das ihrige dazu bei, Musiker aus ihrem Bekanntenkreis zu integrieren. Nachdem Jörg Thommes sich wegen persönlicher Überlastung wieder auf seinen Heimatverein Weiler zurückzog wurde dem sehr jungen und auf vielen Instrumenten Begabten Tarek Porr die Musikleitung übertragen. Seine Ära ging leider schon 2008 zu Ende. Mit ihm gingen dem Verein  leider mehrere jugendliche Musiker verloren. Die aktive Kapelle betrug jetzt wieder nur noch 16 Mitglieder.

Man fand im Anschluss Achim Stillert als neuen Dirigenten, der eine völlig neue Stilrichtung einbrachte, meist mit eigenen Überarbeitungen bekannter Kompositionen und modernen Arrangements. Hier erwähnenswert erscheinen mir u.a. die mehrfachen Auftritte während der Landesgartenschau 2008 in Bingen.

Mit Stillert und dem aktuellen Vorsitzenden Christian Hemmerle ist das „Rochus Open-Air „ verbunden, das zusammen mit dem Heimatverein von Stillert, dem Musikverein Münster-Sarmsheim, von 2010 bis 2013 alljährlich und sehr erfolgreich am Außenaltar der St. Rochuskapelle stattfand. Diese Veranstaltung wird seit 2014 von der Kirchenmusik Bingen in der Spielgemeinschaft mit BONT ebenso  erfolgreich fortgesetzt.

Statistik über die Akteure

1. Die Dirigenten im Überblick seit der Nachkriegszeit

In dem Zeitraum haben folgende Personen die Kapelle dirigiert:

Bis 1959                               Hermann Heinrich

1959 – 1963                         Aushilfsdirigenten von Nachbarkapellen

1963 – 1970                         Wilhelm Fey

1970 – 1972                         Heinrich Adam

1972 – 1973                         Klaus Frey

1973 – 1980                         Musikmeister Wilhelm Rögner

1980 – 1981                         Klaus Frey

1981 – 1990                         Gerhard Kleinz

1990 – 1993                         Klaus Frey

1993 – 1995                         Helmut Walter,

1995 – 1997                         Ralf Hähnlein

1997 – 1999                         Friedel Schmitt

1999 –  2003                        Georgyi Striletztky

2003 – 2005                         Jörg Thommes, Weiler

2006 – 2008                         Tarek Porr,

2008 –  2013                        Achim Stillert

2013 –                                    Jörg Grunow (weltlich), Matthias Scholl (kirchlich)

2. Die Ersten Vorsitzenden im Überblick seit der Nachkriegszeit

Als hauptverantwortliche 1. Vorsitzende trugen Verantwortung für den Verein:

1929 – 1959                         Hermann Heinrich

1961 – 1972                         Friedel Hammer

1972 – 1977                        Klaus Frey

1977 – 1979                        Ernst Tullius

1979 – 1980                         Rupert Mallmann

1980 – 1981                        Friedrich Kühn

1981 – 1996                        Klaus Frey

1996 – 1998                        Hermann Reischmann

1998 – 2009                         Christian Hemmerle

2009 – 2012                         Ralf Reisch (+ 2014)

2012 –                   Christian Hemmerle

(Die vorstehenden statistischen Auflistungen zu den handelnden Personen werden stetig am Bedarf aktualisiert)

Jugendförderung

Ein Verein, insbesondere ein Musikverein lebt unabdingbar von seiner Jugend, die immer wieder zu einer substanziellen  Erneuerung beitragen muss. Friedel Schmitt hatte ein „besonderes Händchen“ Kinder und Jugendliche für die Musik –speziell die Blasmusik- zu begeistern. Er konnte in den Jahren 1998 – 2003 das, was Wilhelm Fey schon in den 60iger Jahren gelang, ein Jugendorchester aufstellen, das beim Wettstreit regionaler Jugendorchester im Jahr 2002 in Weiler einen 2. Platz und im Folgejahr 2004 unter der neuen Leitung von F.J. Baumgärtner sogar einen   1. Sieg erringen konnte. Einige Jugendliche sind dem Verein auch als „Altmusiker“ erhalten geblieben.

Diese fruchtbare Jugendarbeit gilt es  unter allen Umständen fortzuführen. Aber Nach wie Vor gilt: Einer oder Wenige können nur so viel erreichen, wie eine Vielzahl von Gleichgesinnten es ermöglichen.

Ausblick

Weil den amtierenden Vorsitzenden Ralf Reisch eine aggressive Krankheit in seinen Entfaltungsmöglichkeiten behinderte, die ihm schon 27-jährig das Leben raubte war schon wieder eine Neubildung eines Vorstandes von Nöten.

Unter der erneuten Leitung von Christian Hemmerle, der einer Familiendynastie namens Macher entstammt, die schon in den Anfängen der Katholischen Kirchenmusik Bingen mit dabei war, zusammen mit dem sehr jungen neuen Musikleiter Matthias Scholl haben wir eine vielversprechende Führungsmannschaft, die ihre ganze Kraft zum Wohl der traditionsreichen Kirchenmusik Bingen einsetzt, um den modernen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden zu können.

Gleichzeitig war 2013 eine neue Strategie zu erarbeiten, die darin bestand zunächst den Versuch der Gründung einer Spielgemeinschaft mit den Blasorchestern Niederheimbach und Trechtingshausen (BONT) und dem dort tätigen Dirigenten Jörg Grunow  zu begründen. Der Versuch war so erfolgreich, dass schon im gleichen Jahr zwei Adventskonzerte in der Basilika St. Martin sowie in der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt möglich waren. Nach einem Jahr des Probelaufs sehen alle Beteiligten gute Vorteile für die Fortsetzung der Spielgemeinschaft.

Gleichzeitig gilt es die von Friedel Schmitt damals so erfolgreich begonnene Jugendausbildung wieder zu intensivieren. Ein öffentlicher Aufruf mit dem Angebot der Jugendausbildung im Dezember 2012 war so erfolgreich, dass schon im Januar 2013 ein neues Jugendorchester mit spontan gemeldeten 25 Jugendlichen starten konnte. Der Einzugsbereich erstreckt sich von Bingen über BONT-bereich bis nach Seibersbach und Waldlaubersheim. Die Ausbildung sowie das daraus entstehende Jugendorchester werden von dem 2. Vorsitzenden Matthias Scholl geführt. Alle guten Wünsche begleiten diese Initiative.

Neu ist seit 2014 auch die Gründung eines Bläserquartetts /-quintetts welches im kirchlichen oder konzertanten Rahmen Einsatz finden kann.

Offensichtlich hat man in der Binger Öffentlichkeit aktuell wieder den Reiz der Blasmusik erkannt, denn die „Gruber Dorfmusikanten“ sind wieder gefragt und wurden schon mehrmals eingesetzt bei der Sitzungsmusik des GNC, oder bei verschiedenen Veranstaltungen zu einem zünftigen Oktoberfest. Hier kann ich nur sagen: Weiter so, Glück auf!

Ich hoffe daher, dass der Kirchenmusik Bingen auch im 2. Jahrhundert ihres Bestehens immer genügend Gleichgesinnte und Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen, und die in der Diözese Mainz erstmals in Bingen begonnene Tradition der Bläsermusik im kirchlichen Raum niemals enden möge. Nächstes Etappenziel wäre alsdann im Jahr 2016 das 140-jährige Stiftungsfest, nachdem das 125-jährige leider ausgefallen war.

Diese lange Tradition des kirchenmusikalischen Musizierens am Rhein-Nahe-Eck darf uns alle mit Stolz erfüllen, ist aber zugleich Aufgabe und Verantwortung der lebenden Generation im Geist der Gründer dieses Vereins, ungeachtet der äußeren Probleme wechselnder Zeitepochen weiter zu arbeiten um die Leistungsfähigkeit und den Fortbestand des Musikvereins als lebendiger Kulturträger in die nächsten Jahrzehnte zu sichern und auszubauen. Dazu möge Gott seinen Segen geben!

Dank

Bei allen Bemühungen der Vereinsleitung zur Sicherung und personellen Fortführung des Vereins darf nicht vergessen werden, welche finanzielle und sachbezogene Unterstützung der Verein durch die öffentliche Hand als auch durch die Diözese Mainz und Pfarrgemeinde St. Martin in Bingen erfahren darf. Stellvertretend ist zu erwähnen, dass die Pfarrgemeinde seit 1982 einen Probenraum in komfortabler Größe und Ausstattung im Kindergarten Annaberg zur Verfügung hält, der eine fruchtbare Ausbildungs- und Probenarbeit ermöglicht. Auch sollen die vielen privaten Spender nicht vergessen werden, deren Gaben uns immer eine spürbare Unterstützung darstellen. Allen sei für ihr Engagement auch an dieser Stelle herzlich gedankt.

Bingen, am 3. November 2014

Klaus Frey